Kein Denkmal
Sachsen. Große Männer, große Taten. Der größte Umbau der sächsichen Verwaltungslandschaft seit 1990 ist zweifellos eine große Tat. Entsprechend klopft sich Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo als treibende Reformkraft schon mal so sehr die Schultern, dass er vor lauter Staub sein Sachsenvolk garnicht mehr sehen kann. Nur zu hören ist: „Ich bin stolz, dass dieses umfassende Reformwerk nunmehr Wirklichkeit wird. Die Verwaltung in Sachsen wird damit leistungsfähiger und bürgernäher.“ Ob er sich damit ein langfristiges Denkmal setzt, fragt sich Fritz R. Stänker in seinem Kommentar.
Die Verwaltungsreform kommt
Was bedeutet sie wirklich, die Verwaltungsreform?
Umfangreiche Aufgaben des Staates werden auf die Landkreise und kreisfreien Städte sowie auf den Kommunalen Sozialverband übertragen. Die verbleibenden staatlichen Aufgaben werden in deutlich weniger Behörden gebündelt. Außerdem werden die Kreise im Freistaat Sachsen neu gegliedert - die Anzahl der Landkreise reduziert sich von 22 auf 10, die der kreisfreien Städte von 7 auf 3.
Diese Aufgabenbereiche werden auf die neuen Landkreise und die Kreisfreien Städte übertragen:
• Alle Aufgaben der Vermessungsämter,
• Alle Aufgaben der Ämter für ländliche Entwicklung,
• Teilaufgaben der Verwaltung für Familie und Soziales,
• Teilaufgaben der bisherigen Regierungspräsidien u. a. in den Bereichen Umweltvollzugs- und Umweltfachaufgaben, Denkmalschutz,
• Teilaufgaben der Staatlichen Ämter für Landwirtschaft,
• Teilaufgaben des Staatsbetriebs Sachsenforst,
• Teilaufgaben der bisherigen Straßenbauämter,
• Teilaufgaben der Sächsischen Bildungsagentur,
• Aus- und Fortbildungsaufgaben in verschiedenen Bereichen.
Der kommunale Sozialverband Sachsen nimmt künftig Teilaufgaben des Landesamtes für Familie und Soziales wahr, wie z. B. Vollzug des sozialen Entschädigungsrechts, und Förderaufgaben der Jugendhilfe.
Und der Staat?
Ein weiterer bedeutender Teil des Gesetzes ist die Funktionalreform im staatlichen Bereich. Die auch weiterhin staatlich wahrgenommenen Aufgaben werden bei wenigen Behörden zusammengefasst. Die Anzahl der Behörden wird so um 42 reduziert. Schwerpunkt hierfür ist die Konzentration bei den Landesdirektionen und wenigen staatlichen Sonderverwaltungen, wie z.B. dem Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie und dem Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen.
Rund 4.100 bisher unmittelbar beim Freistaat Beschäftigte wechseln zu einem kommunalen Arbeitgeber.
Das Innenministerium geht auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Studie davon aus, dass bei voller Wirksamkeit der gesamten Reform jährlich rund 160 Mio. € eingespart werden können.
Neue Zuständigkeiten und Behördenerreichbarkeiten:
http://www.sachsen.de.
Bürgeranfragen:
Staatsministerium des Innern, Tel. 0351 - 564-3041
Kommentar
Der Ossi wollte die Banane, jetzt muss er sich durchbeißen. Ganz im Osten Ostsachsens ganz besonders, denn hier - ob seiner Form so genannte - ist der Bananenkreis.
Ein schönes Beispiel für die bürgernähesteigernde Verwaltungsreform. Vom einen Ende zum anderen bringts der Kreis, der den Namen Kreis nicht verdient, locker auf mehr als hundert Kilometer. Da wird der Ämtergang schnell mal zur Ämterreise, gelle? Ja doch, im Durchschnitt sind´s natürlich weit weniger Kilometer, die der verwaltete Bürger zurücklegen muss zu seinem Amt.
Politiker sind in der Zwickmühle der Nachhaltigkeitsverantwortung, heute Entscheidungen für morgen fällen zu müssen. Ein Umstand, der leicht eine gewisse Unbeliebtheit in der Gegenwart mit sich bringt. Buttolo ist nun, so möchte er vermitteln, der große Wurf gelungen, auch an Übermorgen zu denken. Formal gewiss. Wie hat uns diese Kraft der Vorsehung doch gefehlt, als Abwasseranlagen geplant und heute renaturierte Gewerbegebiete erschlossen wurden!
Spaß beiseite, Prognose her:
Als Erstes: Die zentralisierte Verwaltung wird schnell feststellen, dass die Bürgernähe doch leidet. Also wird man Außenstellen schaffen. Mehr Aufwand, weniger Qualität.
Und: Die Verwaltungsreform soll 160 Millionen Euro im Jahr sparen. Fragt sich nur ab wann, denn erstmal ist Mehraufwand angesagt, Umbauten, Umzüge, längere Wege. Wenn es dann soweit ist, dass gespart werden könnte, legt der nächste Innenminister vor irgendeiner Wahl garantiert ein Programm für mehr Bürgernnähe auf - mit den Worten: "160 Millionen Euro im Jahr sollte uns das Mehr an Bürgernähe schon wert sein!"
Ein Denkmal gibt es für diese Verwaltungsreform nicht, dafür scheint sie zu kurzlebig.
Wir sind doch Erfahrungsträger: Und was nicht zusammengehört, wächst auch nicht zusammen.
Ihr Fritz R. Stänker
P.S.: So wenig als möglich Staat! Alle politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind es nicht wert, dass gerade die begabtesten Geister sich mit ihnen befassen dürften und müssten: Ein solcher Verbrauch des Geistes ist im Grunde schlimmer, als ein Notstand. Es sind und bleiben Gebiete der Arbeit für die geringeren Köpfe, und andere als die geringen Köpfe sollten dieser Werkstätte nicht zu Diensten stehen: möge lieber die Maschine wieder einmal in Stücke gehen! So wie es aber jetzt steht, wo nicht nur Alle täglich darum glauben wissen zu müssen, sondern auch Jedermann alle Augenblicke dafür tätig sein will und seine eigene Arbeit darüber im Stiche lässt, ist es ein großer und lächerlicher Wahnsinn.
Man bezahlt die "allgemeine Sicherheit" viel zu teuer um diesen Preis: Und, was das Tollste ist, man bringt überdies das Gegenteil der allgemeinen Sicherheit damit hervor, wie unser liebes Jahrhundert zu beweisen unternimmt: als ob es noch nie bewiesen wäre! Die Gesellschaft diebessicher und feuerfest und unendlich bequem für jeden Handel und Wandel zu machen und den Staat zur Vorsehung im guten und schlimmen Sinne umzuwandeln, - dies sind niedere, mäßige und nicht durchaus unentbehrliche Ziele, welche man nicht mit den höchsten Mitteln und Werkzeugen erstreben sollte, die es überhaupt gibt, - den Mitteln, die man eben für die höchsten und seltensten Zwecke sich aufzusparen hätte!
Unser Zeitalter, so viel es von Ökonomie redet, ist ein Verschwender: es verschwendet das Kostbarste, den Geist.
Friedrich Nietzsche
in: Morgenröte, Gedanken über die moralischen Vorurteile (1881)
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- Geändert am: 21.07.2008 - 23:05 Uhr
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