Zwang zur Tariftreue bei öffentlicher Vergabe verboten
Brüssel (Bruxelles). Ein Tariftreuezwang oberhalb gesetzlicher oder allgemeinverbindlicher Mindestlöhne im öffentlichen Vergaberecht würde gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen. Der Europäische Gerichtshof hat am 03.04.2008 sein Urteil in dem Vorabentscheidungsverfahren C-346/06 verkündet.
Auseinandersetzung um das soziale Europa in Deutschland angekommen
Gegenstand des Verfahrens war die Frage, inwieweit nationales Vergaberecht auch soziale Kriterien, die über das Mindestmaß gemäß Entsenderichtlinie 96/71/EG hinaus gehen, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigen darf. Konkret ging es um die nach niedersächsischem Vergaberecht bei öffentlichen Bauaufträgen erforderliche Tariftreue der Auftragnehmer im Sinne einer Verpflichtung zur Zahlung des ortsüblichen Tariflohns auch oberhalb des allgemeinen Mindestlohns.
Ein Bauunternehmen hatte den Auftrag für Rohbauarbeiten an einer niedersächsischen Justizvollzugsanstalt mit polnischen Subunternehmen erbracht. Diese zahlten ihren Arbeitnehmern nur ca. 50 % des gesetzlichen Mindestlohns. Das Land Niedersachsen kündigte deshalb gemäß seinen Vergabebedingungen den Bauvertrag. Auf die Werklohnklage des Unternehmens legte das OLG Celle den Rechtsstreit dem EuGH zur Prüfung der Vereinbarkeit des niedersächsischen Vergabegesetzes mit der Entsenderichtlinie und der Dienstleistungsfreiheit vor.
Der EuGH hat in Fortsetzung seines "Laval"-Urteils und entgegen dem Antrag des Generalanwalts entschieden, dass die Entsenderichtlinie i. V. mit der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 49 EGV nationalen Vergabekriterien oberhalb der in der Richtlinie definierten Mindestbedingungen entgegen steht. Die dort eingeräumten Mindeststandards sind so zu Maximalstandards geworden.
Das Argument, weiter gehende Regelungen wie hier dienten dem Ziel des Arbeitnehmerschutzes, das auch ein Ziel der Europäischen Gemeinschaft sei, wird vom EuGH verworfen. Denn dieser Schutz bestehe ja nur im Rahmen öffentlicher Bauaufträge, nicht aber privater. Der EuGH scheint der Ansicht zu sein, das erst mit der Allgemeinverbindlicherklärung eines bestimmten Lohnniveaus für Aufträge im öffentlichen wie im privaten Sektor ein Hinweis auf ein berechtigtes Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer vorliegt. Gerade mit diesem Argument hatte jedoch Generalanwalt Bot das angegriffene niedersächsische Vergabegesetz für europarechtskonform gehalten. Damit hat die mit den Urteilen "Laval" und "Viking Line" bislang auf die nordischen EU-Mitgliedsstaaten beschränkte Auseinandersetzung um das soziale Europa auch die Bundesrepublik Deutschland erreicht.
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- Quelle: Sächsische Staatskanzlei / Woch in Brüssel (CK) vom 04.04.2008
- Geändert am: 06.04.2008 - 06:58 Uhr
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