Plumper Abriss oder doch lieber Mieten runter?

Plumper Abriss oder doch lieber Mieten runter?
Schon Geschichte: Häuser in der Reichenbacher Straße
Foto: Anna Meusel

Görlitz. Die schnelle Industrialisierung im Görlitz des 19. Jahrhunderts legte die Wurzeln für das Gründerzeitviertel. Die reich mit Verzierungen versehenen Häuser wurden zum großen Teil in der Zeit um 1900 erbaut. Heute zeigt das Gründerzeitviertel ein durchwachsenes Bild. Auch in fast vollständig sanierten Straßenzügen finden sich immer wieder einzelne Gebäude, die seit Jahrzehnten vor sich hin dämmern. Die ruinengleichen Häuser verschwinden - dank staatlich gefördertem Abriss - nach und nach aus dem Stadtbild. Neue Sichtachsen verändern den Charakter der Stadt.

Für eine lebendige Stadt, wider den monotonen Plattenbau

Die schnelle Industrialisierung im Görlitz des 19. Jahrhunderts legte die Wurzeln für das Gründerzeitviertel. Die reich mit Verzierungen versehenen Häuser wurden zum großen Teil in der Zeit um 1900 erbaut.

Heute zeigt das Gründerzeitviertel ein durchwachsenes Bild. Auch in fast vollständig sanierten Straßenzügen finden sich immer wieder einzelne Gebäude, die seit Jahrzehnten vor sich hin dämmern. Die ruinengleichen Häuser verschwinden - dank staatlich gefördertem Abriss - nach und nach aus dem Stadtbild. Neue Sichtachsen verändern den Charakter der Stadt.

Seit der Wende hat Görlitz etwa ein Viertel seiner Bewohner verloren. Dieser Bevölkerungsschwund wird erst in jüngster Zeit durch Zuzüge, vor allem von Rentnern, gestoppt.

Trotz Sanierung, Abriss und Zuwanderung bleiben zu viele Wohnungen noch immer leer: In der Innenstadt waren Anfang 2007 rund 10.000 von 34.000 Wohnungen nicht vermietet, wobei der Anteil von 3.000 unvermieteten sanierten Wohnungen hoch erscheint.

Die Probleme betreffen das Gründerzeitviertel nicht allein. Auch in den Plattenbauten der Satellitenstadt Königshufen, einem ehemaligen sogenannten Neubaugebiet, werden bis zum Jahr 2015 nur noch 40 Prozent der Wohnungen gebraucht.

Eine einfach Lösung wäre es, die Plattenbau-Insassen in die Innenstadt, beispielsweise das Gründerzeitviertel, umzusiedeln. Aus Königshufen könnte auf diese Weise ein tatsächlich blühender Landstrich werden. Doch ohne den Wirt geht die Rechnung nicht auf: So mancher hat sich eingelebt in der Platte und scheut die Veränderung. Ergo bleiben Plattenbauten stehen und in der Innenstadt wird gut erhaltene Substanz vernichtet.

Neben allen Argumenten pro und kontra Plattenbausiedlung sollten vor allem soziale Aspekte gewürdigt werden. Die Monotonie des Plattenbaus, die standardisierte Infrastruktur und die fehlende kulturelle Vielfalt bilden ein dröges Wohnumfeld, das als Highlight des Tages das abendliche Fernsehprogramm eines Privatsenders nahelegt. Ist das nun passives Zeit totschlagen oder bereits aktive Verblödung? Freilich, nicht jeder, der TV glotzt, verblödet gleich - viel schlauer wird er allerdings auch nicht.

Da bietet eine gewachsene Innenstadt mehr. Gleich vor der Haustür beginnt die Kultur, eine umständliche Verkehrsanbindung ist nicht nötig. Kino, Kneipen und Theater meist per pedes erreichbar, man sieht und trifft sich auf kurzem Wege. Das soziale Umfeld erlebt mehr Fluktuation, Abwechslung inklusive.

Trotz hohem Leerstands sind die Mietpreise weiterhin auf hohem Niveau und damit für viele unerschwinglich. Der Plattenbau präsentiert sich deshalb als echte Komfort- und Preisalternative unter dem Motto „warm-sicher-trocken“ - aber möglicherweise verbunden mit dem Verzicht auf ein ganzes Stück Lebensqualität.

Wie wäre es mit „Mieten runter!“ anstelle „Abrissbirne“? Eigenleistung für die Wohnung und damit Substanzerhalt im Gegenzug für eine Billigmiete wäre für viele Menschen eine echte Alternative und auch für den Vermieter nicht ohne Reiz. Wer finanziert schon gern Leerstand?

Nur wer die richtigen Fragen stellt wird auch die richtigen Antworten finden: Was könnte das Leben in der (Innen)Stadt noch attraktiver machen? Braucht Görlitz einen besseren Nahverkehr? Sind mehr oder andere Kulturangebote gefragt? Welche Handelsstrukturen fehlen?

Ich freue mich auf Ihren Kommentar.

Beatrice Heinz




Kommentare (1)

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  • Der zweite Weltkrieg legte die Gleise architektonischer Verstümmelungen...

    von Ms. R.R. am 25.01.2013 - 18:05:30
    Ich finde es ein Unding, dass im Zuge der Modernisieruneg Deutschlandweit viele Altbauten ihr Leben lassen mussten oder ihr Gesicht verloren. Majestätische Gebäude, vollkommen in ihren vielfältigen Erscheinungsbildern - alle gleich und doch so unterschiedlich - müssen für den Modernisierungswahn herhalten. Absehbar war dies schon lange vorher, da die Gründezeitbauten auch mit einer dunklen Zeit in Verbindung gebracht wurden... Zum einen war es eine Zeit des Aufschwungs. Es war eine Zeit der Ideen und deren Umsetzungen. Aus kleinen Betrieben wurden große Firmen, es gab viele Neureiche, er war der Beginn der Massenproduktionen und es war der Anfang der ersten Großstädte, in denen die Gründerzeitler, auch sogenannte Mietskasernen, wie Pilze aus dem Boden schossen. Dies war der Anfang der ersten Wohnungdsgesellschaften, die die andere Seite dieser Zeit, den traurigen Höhepunkt einer ausgebeuteten Arbeiterschaft, noch die Krone aufsetzten. Die Häuser waren nur auf Grund der Eitelkeit der Erbauer von außen schön verziehrt. Im Inneren herrschten Armut, Feuchtigkeit, Schimmel, unhygienische Missstände und wegen der hohen Mieten mussten sich zum Teil bis zu 30 Menschen bis zu 25qm Wohnraum teilen (was nur durch Schichtbetrieb gut ging), weshalb es auch keine Privatsphäre gab. Die Menschen musten von den Straßen weg und schliefen notfalls sogar in Hausfluren. Die Wohnungsgesellschaften haben es ausgenutzt, dass die Mieter keine Rechte hatten und wer sich beschwert hatte, flog einfach raus - es gab ja genug "Nachschub". Auch wurde die unterste Schicht einquartiert, als die Häuser noch im Bau waren und viele Menschen wurden als Trockenwohner missbraucht. Sie wohnten für weniger Miete die Wohnungen trocken, damit sich anschließend besser betuchtere Menschen darin häuslich einrichten konnten, als es auch in der wohlhabenen Gesellschaft schick wurde, in Stadthäusern zu wohnen. Zu dem Zeitpunkt wurde wegen solcher Umstände keum jemand alt. Die meisten starben schon an Krankheiten, die sich natürlich rasant in den Mietskasernen ausbreiteten. Für die einen war es eine Zeit des Aufschwungs, für die anderen eine Zeit der Ausbeute der Arbeiter, keine Rechte der untersten Schicht sowie die unmenschlichen Lebensbedingungen der "Kleinen".
    Auf Grund solcher Zeiten war der Stuck damals nur eine Fassade, die die Missstände vertuschen sollten und wurde somit schnell als verlogen abgestempelt. Daher wurde der Stil in Verbindung mit dieser Zeit verhasst und es wurde begonnen, solche Gebäude zu entstucken oder komplett umzubauen bzw. ganz abzureißen. Zum Schluss gab der zweite Weltkrieg dieser Architektur den Rest und leitete die Epoche einer neuen Bauweise ein...

    Ich persönlich finde es richtig scheiße, wie sich die Straßenbilder innerhalb von 100 Jahren so sehr verändern konnten - und ich meine damit nicht zum Positiven. Und es hört nicht auf. Damals waren es der Abrisswahn, dann der Modernisierungswahn und jetzt ist es die Energielobby, die dafür sorgt, dass auch die letzten Gebäude entstuckt werden oder die, die es schon sind unter einer sterilen, lieblosen Styroporhülle verschwinden und auch die letzten ersichtlichen Zeichen eines einst schönen Altbaus sind für immer verloren..............

    Es waren zwar nicht die schönsten Zeiten vor 1939, aber ich wünschte, diese Straßenzüge, wie wir sie leider nur noch von Postkarten und alten Bildern kennen, lassen etwas vermissen: Einen hauch von Gemütlichkeit und der Liebe zum Detail.
    Und wenn ich nur das Geld dafür hätte, wären es noch einige Gebäude mehr, die gerettet werden können, bevor sie, wenn nicht durch die Hand des Menschen spätestens durch die Witterung ihrem Schicksal entkommen können..........

    Grüße


  • Quelle: von Beatrice Heinz, Zittau | Foto: Anna Meusel
  • Geändert am: 19.11.2007 - 15:04 Uhr
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