Weideglück oder Verbrauchertäuschung?
Berlin, 5. Oktober 2016. Einem Großteil der mit Weidebildern und idyllischen Landschaften werbenden Unternehmen ist nicht bekannt, wie viele der Kühe Zugang zu einer Weide haben oder noch im Stall angebunden werden. Nur bei drei von 29 Marken wird das Werbeversprechen gehalten. Dies ergab eine aktuelle Umfrage der Welttierschutzgesellschaft unter 20 milchverarbeitenden Unternehmen.
Welttierschutzgesellschaft schafft mehr Transparenz für den Verbraucher und fordert eine gesetzliche Regelung speziell für die Haltung von Milchkühen
Molkereien und Lebensmittelkonzerne werben häufig mit einer naturnahen Milchproduktion, Alpenpanoramen oder Kühen auf der Weide. Die Welttierschutzgesellschaft hat daher im Rahmen der KUH+DU Kampagne 17 Molkereien und drei Lebensmittelkonzernen auf den Zahn gefühlt und sie zur Haltung der Kühe befragt: Wie hoch ist der Anteil der Kühe mit Weidegang? Gibt es seitens der Molkerei Vorgaben zum Weidegang? Wie viele Kühe haben alternativ die Möglichkeit, über einen Laufhof Bewegung im Freien zu bekommen, und wie viele Kühe werden noch im Stall angebunden?
Zwei Drittel der befragten Unternehmen – darunter Haribo, Ehrmann, Alpenhain oder die Molkerei Alois Müller – haben auf die Fragen der Welttierschutzgesellschaft entweder gar nicht reagiert oder die Frage nach dem Weideanteil der Kühe unbeantwortet gelassen. Mondelez, Savencia und Zott haben in ihren Antworten verschiedenste Projekte aufgelistet, in denen sich die Unternehmen engagieren, anstatt auf die konkreten Weide- oder Stallhaltungszahlen einzugehen. Generell häuften sich Äußerungen wie "Landwirte sind eigenverantwortliche Unternehmer" oder "die Milchlieferanten halten sich an alle einschlägigen Gesetze". Lediglich Dr. Oetker, DMK, Hochland und Zott waren so ehrlich zuzugeben, dass sie die Zahlen zu den nachgefragten Marken schlichtweg nicht kennen.
Nur die vier Unternehmen Arla Foods, FrieslandCampina, Gläserne Meierei und OMIRA haben Daten zum Weidegang von insgesamt neun bekannten Marken genannt. Während bei den Marken Arla Bio und Hansano Weidemilch von Arla Foods alle Kühe Weidezugang haben, sind es bei der Gläsernen Molkerei, eine Marke der Gläsernen Meierei, immerhin noch mehr als 95% der Tiere (bei der Heumilch-Variante ebenfalls 100%). Bei den anderen sechs Marken fällt der Anteil der Kühe, die auf die Weide kommen, deutlich geringer aus.
"Molkereien und Lebensmittelkonzerne sind ebenso wie die Landwirte dafür verantwortlich, wie es den Kühen in Deutschland geht. Mit falschen Werbeversprechungen, die nicht annähernd die Realität widerspiegeln, werden Missstände in der Milchwirtschaft verschleiert und der Verbraucher bewusst getäuscht. Hier muss dringend gegengesteuert werden", so Katharina Tölle, Campaignerin bei der Welttierschutzgesellschaft.
Die Tierschutzorganisation fordert Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt auf, eine Haltungsverordnung für Milchkühe einzuführen und ein Mindestmaß an Tierschutz für alle Kühe zu gewährleisten. Hier hat die Welttierschutzgesellschaft bereits einen Entwurf zur Erweiterung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung um Milchkühe vorgelegt, der u.a. einen verbindlichen Auslauf im Freien beinhaltet. Knapp 220.000 Menschen haben eine entsprechende Petition der Tierschützer unterzeichnet.
Mehr als die Hälfte der 4,3 Millionen in Deutschland lebenden Milchkühe hat keinen Weidezugang mehr. Dabei haben Kühe ein starkes Bewegungsbedürfnis. Der weiche Boden ist gut für die Klauen und Gelenke. Die natürlichen Licht- und Klimaverhältnisse stärken das Immunsystem der Kuh und eine natürliche Futteraufnahme wird ermöglicht. Doch der Trend geht zur ganzjährigen Haltung im Stall, in dem noch immer jede vierte Kuh teil- oder ganzjährig angebunden wird. Dem Verbraucher ist so etwas häufig nicht bekannt.
Über die Welttierschutzgesellschaft e.V.
Die Welttierschutzgesellschaft ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin. Die Organisation unterstützt Tierschutzprojekte, die die nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen von Haus-, Nutz- und Wildtieren zum Ziel haben. Die Tierschutzarbeit wird mit Bildungsangeboten und politischer Kampagnenarbeit flankiert, um bei den Menschen eine Veränderung des Denkens und Handelns zu bewirken.
Kommentar von Katharina Tölle, Campaignerin bei Welttierschutzgesellschaft e.V.:
"Alpenmomente" genießen, "Nur vom Besten der Natur", "Die grüne Seele" – mit diesen Versprechen werden Verbraucher von Seiten der Molkereien und Lebensmittelkonzerne verbal und auch visuell in eine idyllische Naturwelt entführt und möchten am liebsten sofort zum nächsten Joghurt oder Käse greifen, um Teil dieser heilen Welt zu werden. Kein Wunder also, dass die meisten ihren Milchkonsum oft nicht infrage stellen.
Dabei weiß die Mehrheit der mit Weide werbenden Unternehmen nicht einmal, wie viele der Kühe überhaupt Zugang zu einer Weide haben, geschweige denn wie viele von ihnen sogar noch im Stall angebunden werden – oder sie wollen sich dazu nicht äußern. Dies ergab eine aktuelle Umfrage der Welttierschutzgesellschaft.
Zwei Drittel der befragten 20 Unternehmen haben dementsprechend auf unsere Anfrage hin entweder gar nicht reagiert oder die Frage nach dem Weideanteil der Kühe unbeantwortet gelassen. Generell häuften sich Äußerungen wie "Landwirte sind eigenverantwortliche Unternehmer" oder "die Milchlieferanten halten sich an alle einschlägigen Gesetze", anstatt auf die konkreten Weide- oder Stallhaltungszahlen einzugehen. Nur vier Unternehmen war so ehrlich zuzugeben, dass sie die Zahlen schlichtweg nicht kennen und ebenfalls nur vier Unternehmen waren überhaupt bereit, Daten zum Weidegang von insgesamt neun bekannten Marken zu nennen. Ihnen kann zugutegehalten werden, dass sie durch ihre Offenlegung für mehr Transparenz sorgen. Letztendlich wird von ihnen aber auch nur bei drei Marken das Werbeversprechen gehalten (95 bis 100 Prozent Weideanteil). Bei den anderen sechs Marken fällt der Anteil der Kühe, die auf die Weide kommen, deutlich geringer aus.
Die intensive Werbung mit naturnaher Milchproduktion ist vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse mehr als fragwürdig zu bewerten. Mit falschen Werbeversprechungen, die nicht annähernd die Realität widerspiegeln, werden Missstände in der Milchwirtschaft verschleiert und der Verbraucher bewusst getäuscht.
Was gilt es also zu tun? Um für alle Kühe ein Mindestmaß an Tierschutz sicherzustellen, muss Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt eine eigene Verordnung für Milchkühe einführen. Hier haben wir von der Welttierschutzgesellschaft im Rahmen der KUH+DU Kampagne bereits einen Entwurf zur Erweiterung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung um Milchkühe vorgelegt, der u.a. einen verbindlichen Auslauf im Freien vorsieht.
Molkereien und Lebensmittelkonzerne wiederum sollten sich aktiv für das Wohl der Kühe einsetzen, deren Milch in ihre Produkte fließen. So sollten sie verbindliche Vorgaben zur Haltung der Kühe mit den Landwirten vereinbaren werden und diese auch finanziell bei der Umsetzung der Vorgaben unterstützen. Nur so können die Werbeversprechen der Unternehmen in die Realität umgesetzt werden.
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- Quelle: red | Foto: Peggy_Marco / Peggy und Marco Lachmann-Anke, pixabay, Lizenz CC0 Public Domain
- Geändert am: 05.10.2016 - 14:18 Uhr
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